Entzündungen aus ayurvedischer Sicht

Hast auch Du bislang so gedacht?

„Die Entzündung ist eine Pitta-Störung, so wie Verstopfung durch erhöhtes Vata und Übergewicht durch Kapha verursacht werden.“

Leider ist keine dieser drei im Ayurveda gängigen Aussagen vollständig korrekt!

Ein paar gegenteilige Beispiele: Liegt eine durch Kaphadosha dominierte Entzündung vor, kann eine Pitta-Senkung diese verstärken. Genauso verhält es sich mit einer Āma-bedingten Verstopfung, die mit Flohsamen therapiert wird oder mit einer durch Samanavata-Aggravation bedingten Fettleibigkeit, die mit Agni-Boostern und Guggulu-Produkten therapiert wird. Die jeweilige Folge ist eine Verschlimmerung der Beschwerden.

Hier zeigt sich deutlich der Unterschied zwischen dem Laien-Ayurveda und der professionellen Ayurvedamedizin. Während die Laienversion auf pauschale Zuordnungen und schnelle, scheinbar allgemeingültige Lösungen setzt (Entzündungen kühlen und Pitta senken), konzentriert sich der therapeutische Ayurveda auf eine saubere Fallkonzeptualisierung zum detaillierten Verständnis der Samprapti (Pathogenese). Zur Behandlung von Krankheiten ist Halbwissen unzureichend und manchmal sogar gefährlich.

Wie lässt sich die Entzündung ayurvedisch verstehen und therapieren?

Die westliche Perspektive

Entzündungen sind komplexe Immunreaktionen eines Organismus auf einen inneren oder äußeren Reiz. Reize können Infektionen, Verletzungen, Fremdkörper, Tumore oder Überempfindlichkeitsreaktionen sein.

Sie können akut oder chronisch, lokal oder systemisch, mild oder schwer ablaufen, verschiedene Organe und Gewebe betreffen und sind nomenklatorisch an der Endung „-itis“ erkennbar. Beispiele sind die Gastritis, Dermatitis, Cystitis, Hepatitis oder Arthritis. Ihre Einteilung erfolgt nach zeitlichem Verlauf, Ausbreitung, Spezifität, Makroskopie, Histologie und ursächlichen Erregern.

Ziel einer Entzündungsreaktion ist die Gefahrenabwehr und Reparatur. Die Reaktion wird von Botenstoffen wie Histamin, Zytokinen oder Prostaglandinen gesteuert. Entzündungshemmende Medikamente und Heilpflanzen wie Curcuma longa setzen meist an diesen an und lindern somit Symptome wie Schmerz, Brennen oder Schwellung.

Während die westliche Medizin primär versucht, das schädigende Agens auszuschalten (beispielsweise durch antibakterielle Therapie), setzen wir ayurvedisch an der Milieukorrektur an – getreu dem Motto: in einem ausgeglichenen Milieu kann sich keine Entzündung entwickeln oder chronifizieren.

5 Kardinalsymptome – ayurvedisch interpretiert

Der griechische Arzt Galenos beschrieb schon vor fast 2.000 Jahren typische Entzündungszeichen, die in ihrer Stärke variieren:

  • Rubor = Rötung
  • Calor = Hitze
  • Tumor = Schwellung
  • Dolor = Schmerz
  • Functio laesa = Funktionseinschränkung

Vergleichen wir diese mit ayurvedischen Modellen:

  • Rötung und Hitze sind eindeutige Zeichen einer Pitta-Aggravation und treten auch bei Raktadushti, dem verunreinigten Blut auf – hier besonders in der Haut.
  • Die Schwellung ist eine klinische Manifestation von Kaphavrddhi (aggraviertem Kapha) und tritt bei Āma und Srotorodha (blockierten Srotas) auf.
  • Schmerz (Shula, Vedana) ist primär eine Manifestation von aggraviertem Vata und wird durch blockierte Srotas und Āma verstärkt. Je nach Schmerzqualität können auch Pitta (brennender Schmerz) oder Kapha (dumpfer, drückender Schmerz) involviert sein.
  • Die Funktionsbeeinträchtigung kann jedes der 15 Subdosha von Vata, Pitta und Kapha betreffen.

Vagbhata beschrieb in seiner Ashtangahrdayasamhita diese Entzündungszeichen im Kontext von Vata Dosha, das von Rakta Dhatu blockiert wird (Raktavrta Vata): Ragi (Rötung), Daha (Brennen), Shvayathu (Schwellung) und Arti (Schmerz).

Kommen wir zum Ausgangsgedanken zurück: Eine Entzündung ist also dann eine Pitta-Störung, wenn sie rot und heiß ist. Das trifft auf viele akute Entzündungen zu, weniger auf chronische. Im Gegenteil: diese werden oft durch Wärmeapplikation verbessert. Denken wir an die Pinda Sveda Therapie bei chronischen Gelenkentzündungen und -schwellungen. Der kalte Umschlag hilft vielleicht beim kochenden Gichtzeh, sonst allerdings herzlich wenig.

Entzündungen im klassischen Ayurveda

Das in den ayurvedischen Klassikern (Charaka Samhita, Cik. 12) beschriebene Syndrom Shotha umfasst Ödeme und ödematöse Entzündungen und lässt sich am ehesten mit dem modernen inflammatorischen Konzept vergleichen. Grundlegende Symptome von Shotha sind Schwere, Instabilität, Schwellung, Temperaturanstieg, Ausdünnung von Venen, Gänsehaut und Verfärbung der Haut. Ätiologisch werden intrinsische Faktoren (Vataja, Pittaja, Kaphaja) und exogene Faktoren wie Traumata, Infektionen, Verbrennungen, Toxine, Allergien und klimatische Wechsel unterschieden. Für beide Faktoren werden zahlreiche Ursachen (Nidana) und Symptome (Lakshana) genannt, die Bestandteil des Studiums der Ayurvedamedizin sind.

Es gibt grundlegend zwei Wege, mit diesen klassischen Syndromen als Therapeut umzugehen:

  • Weg 1 sucht nach der größtmöglichen Übereinstimmung des klinischen Bildes mit einer der Formen, die in den Klassikern erwähnt wurden. Deine Therapie orientiert sich dann an den klassischen Empfehlungen.
  • Weg 2 bewertet das klinische Bild auf Basis von Dosha-Dushya-Samurchana, also der pathologischen Verbindung von „Tätern“ und „Opfern“. Nicht der Name der Störung ist entscheidend, sondern das Verständnis der Pathogenese.

Ich empfehle in einer modernen Ayurveda Praxis immer Weg 2, da die Zuordnung heutiger Beschwerdebilder zu klassischen Formen äußerst schwierig und häufig nicht möglich ist. Zudem würden wir dann nach einer Art „Disease Management Program“ therapieren, das wir unsererseits ja an der westlichen Schulmedizin kritisieren.

Die ganzheitliche Therapie

Wie kannst Du nun bei entzündlichen Störungen vorgehen?

Die folgenden drei Schritte geben Dir eine grundlegende Orientierung.

Schritt 1 | Diagnose stellen

  • Welche Kardinalsymptome und damit verbundene Dosha und Guna dominieren?
  • Handelt es sich um eine akutes oder chronisches Geschehen?
  • Wo ist die Entzündung lokalisiert?

Schritt 2 | Therapiestrategie definieren

  • Lassen sich direkte Ursachen oder Verstärker erkennen und abschalten?
  • Benötigen wir Ausleitungen (Shodhana) und wenn ja, welche?
  • Welche der besänftigenden Strategien (Shamana) sind erforderlich?

Abbauende (Langhana – Reduktion, Svedana – Dilatation, Rukshana – Trocknung) oder aufbauende Maßnahmen (Brmhana – Nährung, Stambhana – Adstringierung, Snehana – Fettung)?

Schritt 3 | Therapieverfahren auswählen

  • Ahara | Ernährungskorrektur anhand der acht Faktoren ayurvedischer Diätetik – die Orientierung erfolgt anhand der dominierenden Dosha. Grundsätzlich können wir durch blutreinigende und damit reizarme Diät Entzündungen lindern. Hierzu ist eine konsequente Reduktion saurer, salziger und scharfer Speisen erforderlich.
  • Vihara | Lebensstiländerung durch Atem- und Bewegungstherapie, Schlafhygiene, zuträglichen Tagesrhythmus, Körperreinigung und -pflege, ausgewogene Impulskontrolle, Lebensraumgestaltung und Spannungsregulation.
  • Aushadha | Phytotherapie mit antiphlogistisch wirkenden Dravya wie Curcuma longa (Haridra), Boswellia serrata (Shallaki), Commiphora mukul (Guggulu) und Glycyrrhiza glabra (Yashtimadhu). Der Einsatz von Guggulu Vati (Komplexrezepturen) ist besonders wirksam: Triphala Guggulu reduziert gastrointestinale Entzündungen, Kanchanara Guggulu wirkt auf Lymphdrüsen, Yogaraja Guggulu auf Gelenke, Kaishora Guggulu auf die Haut, Punarnavadi Guggulu auf die Leber und Gokshuradi Guggulu auf den Urogenitaltrakt. Denke immer daran, den entsprechenden Vehikel (Anupana) zusammen mit dem Gugguluprodukt zu rezeptieren.
  • Antahparimarjana | Ausleitungsverfahren wirken vor allem bei chronischen Entzündungen oft wie ein Gamechanger. Ob ein komplettes Panchakarma Programm indiziert ist oder einzelne Ausleitungen wie Virechana oder Bastikarma ausreichen, muss individuell anhand der Diagnose entschieden werden.
  • Bahihparimarjana | Manualtherapie kommt vor allem bei chronisch-entzündlichen Zuständen im Bewegungsapparat zum Einsatz. Für eine nachhaltige Wirksamkeit sind Serienbehandlungen (> 7 Behandlungen im zwei- bis dreitägigen Abstand) ratsam.
  • Shastrapranidhana | Chirurgie ist immer das letzte Mittel, wenn alle anderen Maßnahmen ergebnislos verlaufen oder vom entzündlichen Prozess eine ernsthafte Gefahr ausgeht. Durch die ayurvedische Therapie versuchen wir natürlich, Operationen zu vermeiden – sind bei tatsächlichem Bedarf aber realistisch und raten dann auch dem Patienten zu einem erforderlichen Eingriff.
  • Sattvavajaya | Die psychisch wirksamen Verfahren der geistigen Heilkunde sollten immer in Dein ganzheitliches Programm integriert werden. In meiner Schwerpunktpraxis für psychosomatische Medizin erlebe ich tagtäglich, wie jahrelange chronische Entzündungen durch einen neuen, von Sattva dominierten Mindset beeinflusst werden können.

Alles Gute für Deine Praxis!

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