Wie verlässlich sind Ayurveda Konstitutionstest?

Vata, Pitta oder Kapha – welcher „Dosha-Typ” sind Sie? Mit derartigen Fragen locken zahlreiche Online-Anbieter und Printmedien Interessenten an, um anhand eines Fragebogens in wenigen Minuten gesundheitliche Stärken und Schwächen, Persönlichkeitsmerkmale, Neigungen und Bedürfnisse zu erfassen. Ist das aus klassisch-ayurvedischer Sicht überhaupt möglich? Wie seriös sind derartige Konstitutionstests? Und woran kann ein Laie professionelle Tests erkennen?

„Prakriti” ist der Sanskritname für die Konstitution und bedeutet wörtlich übersetzt „Natur”. Jedes Lebewesen hat eine eigene, einzigartige Natur mit Ressourcen, Stärken und Fähigkeiten auf der einen und Vulnerabilitäten, Schwächen und Anfälligkeiten auf der anderen Seite. Das Wissen über unsere Natur ist von überragender Bedeutung und wirkt wie ein Kompass. So können wir unsere Lebensweise anpassen, unsere Potenziale leben und Gefahren rechtzeitig erkennen. Voraussetzung dafür ist, dass unser Konstitutions-Kompass richtig kalibriert wurde und uns die Nadel nicht durch schnelle, unzureichende Testergebnisse auf den falschen Weg führt.

Grundlage unserer Konstitution

Die Konstitution setzt sich materiell aus den fünf Elementen Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum in einer individuellen Verteilung zusammen. Eigenschaften der Elemente sind die Grundlage unserer Körperfunktionen, die anhand von Vata (kinetisches Prinzip), Pitta (thermisches, transformatorisches Prinzip) und Kapha (strukturelles Prinzip) beschrieben werden.

Jeder Mensch weist zum Zeitpunkt der Geburt eine individuelle Verteilung dieser drei Funktionsprinzipien auf, die lebenslang als genetische Grundlage wirkt. Die Konstitution ist in jungen Jahren meist deutlicher erkennbar, da überdeckende Einflüsse (z.B. Krankheiten, Alterungsprozesse oder einseitiger Lebensstil) in geringerem Maße vorliegen wie im fortgeschrittenen Alter.

Ihr Konstitutionstest sollte daher unbedingt die gesamte Lebensspanne von der Geburt an berücksichtigen. Ansonsten sollten wir eher von einem Zustandstest sprechen – unser aktueller Zustand weicht aber sehr oft von der eigentlichen Konstitution ab (Vikriti). Prakriti, die Natur, ist immer von Vikriti, der Veränderung, zu unterscheiden!

Ein Beispiel: Sie kreuzen unter der Frage zur Verdauung den Punkt „Verstopfung” an, der automatisch Zähler auf das Konto von Vata verbucht. Vielleicht leiden Sie aber erst seit einem Jahr unter Verstopfung, als die Wechseljahre kamen – und erfreuten sich in den Jahrzehnten zuvor immer an lockerer, häufiger Stuhlentleerung. Bleibt die Vergangenheit unberücksichtigt, so wird hier eine aktuelle „Vikriti” fälschlicherweise als „Prakriti” ausgelegt.

Körperliche und geistige Konstitutionen

In der ayurvedischen Konstitutionslehre wird neben der körperlichen Konstitution (Deha Prakriti), die anhand von Vata, Pitta und Kapha definiert wird, auch eine geistige Konstitution (Manasa Prakriti) beschrieben. Diese setzt sich aus den drei Eigenschaften des Geistes (Triguna) Sattva, Rajas und Tamas zusammen.

Eine fundierte Konstitutionsanalyse unterscheidet körperliche und geistige Merkmale voneinander und untersucht in einem zweiten Schritt ihre Wechselwirkungen. Die meisten Konstitutionstests berücksichtigen lediglich die Körperkonstitution und psychologisieren die Bedeutung von Vata, Pitta und Kapha im Übermaß.

Ein Beispiel: Vata Konstitutionen wird oft die Emotion Angst zugeordnet. Angst (Bhaya) ist aber ein Zustand des Geistes, der sich körperlich oft in Symptomen von Vata wie Unruhe, Herzklopfen oder Zittern manifestiert. Vata-Konstitutionen, die sich durch regelmäßiges Training ihres Geistes zentrieren können, werden keine Angststörungen entwickeln.

Die vier Konstitutionsbereiche

Wir können unsere Konstitution anhand von vier Bereichen differenziert erforschen:

  • anatomisch-morphologisch: anhand des Körperbaus
  • physiologisch-funktionell: anhand der Körperfunktionen
  • pathologisch: anhand der Krankheitsgeschichte
  • psychologisch: anhand von Temperament, Kommunikation und Verhalten

In jedem Bereich können unterschiedliche Dominanzen auftreten. Ihr Körperbau kann durch Vata dominiert sein, ihre Funktionen hingegen Pitta-betont und die Krankheitsbilder der Vergangenheit Kapha-lastig. Welche Gesamtkonstitution liegt nun vor? Häufig wird ein Bereich untersucht und das Ergebnis auf andere Bereiche einfach übertragen.

Ein Beispiel: Sie haben zeitlebens einen eher fülligen Körperbau mit starken Gelenken, viel Muskulatur und Fettgewebe – ayurvedisch ein eindeutiges Merkmal der Kapha Konstitution. In der Deutung der Testergebnisse wird Ihnen nun ein ruhiges, ausgeglichenes und tendenziell phlegmatisches Temperament bescheinigt – was vielleicht überhaupt nicht Ihrer Realität entspricht.

Achten Sie daher darauf, das Ihr Konstitutionstest alle vier Bereiche unterscheidet und in gleichem Maße in die Bewertung einfließen lässt. Am besten werten Sie jeden Bereich einzeln aus, dann ist die Gefahr einer Übertragung gering.

Keine falsche Identifikation!

Liegt ein Ergebnis Ihres Konstitutionstests vor, bleiben Sie bitte immer offen für neue Erkenntnisse. Manche Menschen tendieren dazu, sich mit Ihrer neu erkannten Konstitution derartig zu identifizieren, dass sie entsprechende Verhaltensmuster entwickeln und mögliche Wachstumsschritte unter dem Vorwand „so bin ich eben” nicht vollziehen.

Ein Konstitutionsergebnis ist kein unwiderrufliches Persönlichkeitsurteil, sondern eine Hilfestellung, um leichter durch das Leben zu gehen und Mitmenschen in ihrem Verhalten besser zu verstehen. Gewinnen Sie neuen Zugang zu Ihren Ressourcen und verwirklichen Sie Ihre Potenziale.

Erstanalyse versus Tiefenanalyse

Eine Erstanalyse kann durchaus über Fragebögen erfolgen, die die oben genannten Kriterien berücksichtigen. Diese Analyse stellt aber nur einen Ersteindruck dar und noch nicht das abschließende Ergebnis.

Möchten Sie Ihre Konstitution tiefgründig erforschen, was ich jedem Menschen ans Herz lege, ist eine professionelle Tiefenanalyse in einer Ayurveda Praxis erforderlich. Ihr Therapeut wird dann nebst umfangreicher Befragung auch relevante Untersuchungen durchführen.

Eine Tiefenanalyse ist eine Reise zu Ihrem Wesenskern. Wie lange diese Reise dauert, lässt sich nicht vorhersagen. Ich selbst habe meine Konstitution erst nach 20 Jahren intensiver Beschäftigung tiefgründig erkannt. Und ich kann Ihnen versprechen: nicht das Ergebnis ist entscheidend, sondern der Weg dorthin…

Mit den besten Wünschen für Ihre Gesundheit,

Ralph Steuernagel

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